Wenn die Polizei Gewalt anwendet Willkür oder Notwendigkeit?
Eine bis dato unbescholtene Familie
wird von der Polizei verprügelt, ein Augenarzt kommt nach einem
Polizeieinsatz verletzt ins Krankenhaus. Wo ist die Grenze zwischen
notwendiger polizeilicher Gewaltanwendung und Willkür? stern TV hat mit Betroffenen gesprochen.
Wurde verdächtigt, einen polizeilich gesuchten Mann zu verstecken: Sandra Brandmaier© stern TV
Familie
Eder aus Rosenheim weiß bis heute nicht, warum sie Opfer eines
Polizeieinsatzes wurde, an dessen Ende die ganze Familie mit
Verletzungen ins Krankenhaus musste. Was war geschehen? Rückblick: Am
15. November 2010 stehen zwei Zivilbeamte vor der Haustür der Familie
Eder. Sie suchen einen Mann, der einen gerichtlich angeordneten Termin
nicht eingehalten hat. Tochter Sandra Brandmaier öffnet die Tür. Sie
sagt den Polizisten, dass der Gesuchte ausgezogen sei.
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Verfahren gegen Polizisten Laut Amnesty
International gab es alleine 2010 in Deutschland 3989 Verfahren gegen
Polizeibeamte, die im Dienst gewaltsam gegen Bürger vorgegangen sind.
Davon wurden 3377 Verfahren wieder eingestellt - das entspricht fast 90
Prozent.
Im Juli 2010 hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International einen Bericht veröffentlicht, in dem sie mutmaßlicher Misshandlung und unverhältnismäßige Gewaltanwendungen durch Polizeibeamte in Deutschland dokumentiert. Darin werden 15 Fälle ausführlich beschrieben. Den Bericht kann man auf der Seite von Amnesty International herunterladen.
Im Juli 2010 hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International einen Bericht veröffentlicht, in dem sie mutmaßlicher Misshandlung und unverhältnismäßige Gewaltanwendungen durch Polizeibeamte in Deutschland dokumentiert. Darin werden 15 Fälle ausführlich beschrieben. Den Bericht kann man auf der Seite von Amnesty International herunterladen.
Ex-Polizist wird zum Opfer
Weil sie
die Männer nicht in die Wohnung lassen will, verdächtigen die Polizisten
plötzlich die 36-Jährige. Sandra Brandmaier wird aus ihrer Wohnung
gezerrt und auf den Fußboden geworfen. Ehemann Anton eilt zur Hilfe und
wird mit einem Würgegriff gewaltsam zurückgedrängt. Die Schreie im
Hausflur erschrecken auch die Eltern, Aloisia und Josef Eder, die zwei
Etagen über ihrer Tochter wohnen. Als der ehemalige Polizist Josef Eder
die Situation beruhigen will, wird er selbst verprügelt.
Am
Ende halten zehn Polizisten die bis dato unbescholtene vierköpfige
Familie in Schach. Aus Angst um ihre Eltern fleht Tochter Sandra
Brandmaier die Beamten an, einen Rettungswagen zu rufen. "Das tat so
unheimlich weh - ich dachte ich halte es nicht mehr aus", erinnert sich
Sandra Brandmaier. Schließlich verständigen die Polizisten den
Rettungsdienst. Familie Eder kommt verletzt ins Krankenhaus.
In
der Stellungnahme der Polizei heißt es später: "Wir hatten es mit einer
sehr aufgebracht wirkenden Frau zu tun". Und: "Sie fing an die Beamten
zu schubsen. Mit weiteren Familienmitgliedern kam es ebenfalls zu
Rangeleien."
Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert
Josef
Eder war selbst Polizist und hätte nie geglaubt, dass gerade er Opfer
von Polizeigewalt werden könnte. Auch fast zwei Jahren nach dem Vorfall
kann er kaum darüber sprechen: "Ich bin eigentlich immer fast ein
Gerechtigkeitsfanatiker gewesen, aber das, was uns da passiert ist, das
hat mein Urvertrauen in den Rechtsstaat total umgeworfen", sagt Eder.
Für
Eders Anwalt Hartmut Wächtler ist dieser Einsatz mit nichts zu
rechtfertigen: "Ein Mensch, der sogar der Polizei helfen will, findet
sich gefesselt und verletzt am Boden. Das ist eine unvorstellbare
Szenerie", findet der Jurist. Zudem hatte der Polizeieinsatz für die
Familie auch noch ein juristisches Nachspiel: Vor dem Amtsgericht
sollten sie sich wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
verantworten. Nach sieben Verhandlungstagen wurde der Prozess
eingestellt.
Rote Fußgängerampel überfahren
Ein
Einzelfall ist der Fall der Familie nicht. Pro Jahr gibt es tausende
Verfahren gegen Polizeibeamte - wegen Tötungsdelikten, Gewaltausübung,
Zwang oder Amtsmissbrauch. Auch Siegfried Bauer hat das erlebt. Im März
2011 fährt er kurz vor Mitternacht mit dem Fahrrad nach Hause. Der
Augenarzt ist angetrunken und überfährt eine rote Fußgängerampel. Ein
Polizist fordert Bauer aus dem Streifenwagen heraus auf anzuhalten, doch
Bauer fährt weiter. "Ich kam von der Ampel auf dem kombinierten Radweg
und spürte dann, wie ich brutal gepackt wurde und mit maximaler Wucht
mit meinem Rad auf den geteerten Boden geschmettert wurde", erinnert
sich Siegfried Bauer.
Die Polizisten nehmen den Arzt
mit auf die Polizeiwache. Im Polizeibericht heißt es später: "Bauer
stürzte nach Widerstandshandlung zusammen mit Polizeihauptmeister R. zu
Boden." Die Bilanz des Einsatzes: Siegfried Bauer hatte Platzwunden am
Kopf, Abschürfungen im Gesicht, ausgerissene Haare und handtellergroße
Hämatome.
Anwalt Hartmut Wächtler ist entsetzt von
dem Verhalten des Polizisten: "Das war grob unverhältnismäßig. Ein
Bürger wurde in Gefahr gebracht", sagt Wächtler. "Siegfried Bauer hat
keinen Helm getragen, er hätte auch sterben können."
Polizisten unter Druck
Doch
woher kommt das aggressive Verhalten der Polizisten? Sie stünden unter
extremem Druck: Personalabbau, Überstunden, Extremsituationen - das sei
Alltag und nicht jeder Beamte habe sich immer im Griff, erklärt ein
Polizist, der unerkannt bleiben will, im Gespräch mit stern TV.
"Die Hand sitzt locker", sagt der Mann. "Man ist ausgebrannt. Dann
bekommt einer eine 'Gesundheitsschelle' - man muss es nur gut begründen
können."
Wie die Statistik zeigt, haben Polizisten
bei Vergehen selten etwas zu befürchten. Katharina Spieß von der
Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat seit einigen Jahren
den Verdacht, dass bei der Polizei nicht unabhängig ermittelt wird.
"Wir haben auch Fälle gesehen, wo die Staatsanwaltschaft schon einen Tag
nach den Ermittlungen gesagt hat: 'Wir haben keine Probleme bei der
Polizei'", erklärt die Sicherheitsexpertin. "Und das, obwohl noch gar
nicht ermittelt worden ist."
Für die Opfer von
Polizeigewalt haben die Vorfälle schwere seelische Folgen: "Wir sind
psychisch erheblich angeschlagen", sagt Josef Eder. Und auch sein
Schwiegersohn Anton Brandmaier erklärt: "Ich würde mich nicht als
Angsthasen bezeichnen, aber wenn irgendwo eine Polizeikontrolle ist, hat
man schon ein komisches Gefühl. Man fragt sich halt: Kommst du aus
dieser Kontrolle gesund an Körper und Geist raus?"
Quelle : http://www.stern.de/tv/sterntv/wenn-die-polizei-gewalt-anwendet-willkuer-oder-notwendigkeit-1836701.html
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